Literatur |
a) Religionsphilosophische Aspekte
Das zweite Buch Mose (Exodus)
Eliade, Mircea (1998): Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt a.M., Kap. 4, Abschnitt 10 (S. 174-183).
Simmel, Georg (1998): Die Religion. In: O. Rammstedt (Hg.): Gesamtausgabe Georg Simmel Band 10. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1995, S. 41-69.
Freud, Sigmund (1989): „Die Zukunft einer Illusion", in: Studienausgabe B. IX, Fragen der Gesellschaft/ Ursprünge der Religion, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, Abschnitt III & IV (149-158), VI (164-167), VIII (174-178), X (184-189).
Pollack, Detlef (2001): „Gesellschaftliche Institutionen – Religion“, in: Joas, H. (Hg.): Lehrbuch der Soziologie. Frankfurt a.M.
b) Politische Philosophie
Lorey, Isabell (2012): "Reale Demokratie", in: Isabell Lorey/Roberto Nigro/Gerald Raunig (Hg.), Inventionen 2. Exodus, Reale Demokratie, Immanenz, Territorium, Maßlose Differenz, Biopolitik, Zürich, S. 42-47.
Bloch, Ernst (1973): Atheismus im Christentum, Frankfurt a.M. 1973, S. 87-134.
Walzer, Michael (1998): Exodus und Revolution, Frankfurt a.M.
Virno, Paolo (2010): Exodus, Wien
Assmann, Jan (2015): Exodus. Die Revolution der Alten Welt, München, S. 29-55, 249-304, 389-404.
c) Kulturelle Aneignungen
Mbembe, Achille (2014): Kritik der schwarzen Vernunft, Berlin: Suhrkamp, S. 11-109 und S. 296-332.
Mbembe, Achille (2014): Nekropolitik, in: Andreas Folkerts und Thomas Lemke (Hg.): Biopolitik. Ein Reader, Berlin, Suhrkamp, S. 228-273
Mbembe, Achille (2015): "Der Schwarze und die Sprache", in: Schwarze Haut, weiße Masken, Wien/Berlin: Turia + Kant, S. 15-35.
Badiou, Alain (2014): "Kann man über einen Film sprechen?", in: ders.: Kino. Gesammelte Schriften zum Film, hg. von Peter Engelmann, Wien: Passagen 2014, S. 135-141.
Adrono, Theodor W. Adorno (2001): "Melange", in: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 183-185.
Hall, Stuart (2013): Wann gab es das »Postkoloniale«?: Denken an der Grenze, in: Sebastian Conrad, Shalini Randeria, Regina Römhild (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Campus, S. 196-223.
|
Lerninhalte |
Im Projekt befassen wir uns ausgehend von der biblischen Exodus-Erzählung mit Formen politischen Widerstands sowie mit Erlösungshoffnungen, die diesen Widerstand gestern wie heute motiviert haben. Das Buch Exodus berichtet vom Auszug ehemaliger Sklaven aus der ägyptischen Gefangenschaft. In diesem Akt der Befreiung konstituiert sich das Volk Israel als selbstbestimmtes politisches Subjekt und setzt zugleich die alte, auf den Souveränitätsansprüchen des Pharaos beruhende Herrschaftsordnung Ägyptens aus. Im Laufe der Jahrtausende konnte die Exodus-Erzählung immer wieder als Referenzmythos von revolutionären Bewegungen dienen, so etwa in den deutschen Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts, im französischen Frühsozialismus, in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und in den Civil Rights Movements der 1960er Jahre. Bis in die Populärkultur und Alltagsmythologie unserer Tage lebt der Exodus als Innbegriff von Befreiungs- und Erlösungshoffnungen fort.
Das Projekt wird von einem Team betreut, dem Gesine Kurth (TU Dortmund), Antje Géra (Leuphana Universität Lüneburg) und Andreas Hetzel (Uni Hildesheim) angehören. Es gliedert sich in zwei Phasen:
1) In der ersten Phase werden wir uns mit dem Exodus-Motiv und seiner religionsphilosophischen (a), politischen (b) und kulturellen (c) Rezeption befassen.
(a) Religionsphilosophie (Gesine Kurth)
Der Auszug aus Ägypten verspricht dem Volk der Israeliten Erlösung von Leid, Unterdrückung, einem fremdauferlegten Glauben und Heimatlosigkeit. Erlösungshoffnungen spielen allerdings nicht nur im Alten Testament eine zentrale Rolle, sondern auch für Menschen des 21. Jahrhunderts. Doch wovon könnten wir uns in spätmodernen Gesellschaften Erlösung erhoffen und wie versuchen wir sie zu erlangen? In welchem Verhältnis steht Erlösung zu Religion? Leben wir wirklich in einer säkularen Gesellschaft oder ist das Heilige in transformierten Gestalten nach wie vor wirksam und relevant? Im entsprechenden Projektabschnitt wird die Exodus-Geschichte zunächst aus (religions-)philosophischer Perspektive gelesen, um verschiedene Konzepte von Erlösung zu erarbeiten und das Verhältnis von Religion, Erlösung und Politik in der Gegenwart zu diskutieren.
(b) Politische Philosophie (Andreas Hetzel)
In der politischen Philosophie der Gegenwart finden sich mehrere Versuche, den Exodus als Erzählung einer Ent-Unterwerfung zu lesen, einer Aussetzung eines Zirkels der Angst, der als Herrschaftsinstrument erkannt und entzaubert wird. Der Exodus besteht aus dieser Sicht in der Abwendung von Macht und Mitteln der Machterhaltung, in einem radikalen Stellungswechsel. Der Auszug Israels aus Ägypten wird etwa von Michael Walzer, Paolo Virno und Jacques Derrida nicht nur als Befreiung aus einem kontingenten historischen Herrschaftsverhältnis gelesen, sondern als Aussetzung von Herrschaft schlechthin. Im Gang in die Wüste zeichne sich eine neue Idee politischer Integration ab, die nicht einfach die alten Knechte zu neuen Herren werden lässt, sondern sich an das Versprechen einer anarchischen Lebensform bindet. Wir wollen uns mit den Argumenten der entsprechenden Autoren vertraut machen und zugleich überlegen, in wie weit wir mit ihnen die aktuellen Bewegungen von MigrantInnen als Form eines politischen Widerstands beschreiben können. Vieles spricht dafür, den aktuellen Exodus als Ausdruck der Problematisierung einer postkolonialen Weltordnung zu begreifen. Der moderne Nomadismus wäre insofern als ein „Contre-Nomadisme“ zu lesen, als ein politischer Akt der Aussetzung von Grenzen, mit denen sich Europa vor den Auswirkungen seiner eigenen kolonialistischen Geschichte zu schützen sucht.
(c) Kulturelle Rezeption (Antje Géra)
Wir werden auch fragen, wie die Aussetzung von Grenzen und Herrschaftsordnungen heute ästhetisch reflektiert wird. Dies geschieht über eine Einbeziehung von Perspektiven, die den Blick von uns auf die Anteilslosen, Anderen usw. umkehren. Hierzu werden einige exemplarische Filme diskutiert, so etwa von Abderrahmane Sissako ("Bamako" (2006); in einem Innenhof in Mali stellen Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft die Weltbank und den IWF vor Gericht; und "Waiting for Happiness" (2002); ein Jugendlicher besucht vor seiner Emigration das letzte Mal sein Heimatdorf). Ziel dieser Projektphase wäre es, mithilfe einer Deutung der Filme zu erschließen, wie sich in den verschiedene ästhetischen Darstellungsstrategien von Widerständen gegen souveräne Politik(en) ein "postsouveränes" Verständnis des Politischen ausdrückt, das Motive der Exodus-Erzählung entspricht.
2) In der zweiten Projektphase (die zeitlich den gleichen Anteil einnehmen wird wie die erste und die vor allem von Andreas Hetzel betreut wird), werden die TeilnehmerInnen eine praktisch-ästhetische Aktualisierung des Exodus-Motivs erarbeiten. Diese Aktualisierung könnte etwa die Form einer philosophischen Performance annehmen, aber auch diskursive Anteile enthalten, etwa in Form eines öffentlichen Podiums, auf dem verschiedene Stimmen zu Exodus, Erlösung, Grenzen und Migration zusammengeführt werden. Diese Projektphase ist grundsätzlich offen für Anregungen und Ideen aus dem Kreis der TeilnehmerInnen. |