Der Zeichenunterricht im 19. Jahrhundert war von sehr entgegengesetzten pädagogischen Erkenntnishorizonten und Zielformulierungen des Zeichnens geprägt. Die Methode des Netzzeichnens und vornehmlich die Methode von Adolf Stuhlmann wurde vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer populären und weitverbreiteten Auffassung des damaligen Zeichenunterrichts – geprägt von Strenge und weit entfernt von kindlichen Lebenswelten. Doch im Übergang zum 20. Jahrhundert öffneten präwissenschaftliche Studien (z. B. Ricardo Ricci) und Schriften (z. B. Ellen Key und Henri Bergson) aber auch die Kinderliteratur – im Zuge einer allumfassenden Reformbewegung – ein neues Verständnis auf Kindheit als eigenständigen Entwicklungsabschnitt.
Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz des Kindes als ein eigenständiges und schöpferisches Wesen erwuchs zugleich das Interesse an kindlichem Gestaltungsausdruck und der Wertschätzung von Kinderzeichnungen und Kinderplastiken. Dieser Paradigmenwechsel mündete unter anderem mit Beginn des 20. Jahrhunderts in die Kunsterzieherbewegung, die Anfänge der Museumspädagogik - in reformpädagogische Ansätze, die grundlegend und nachhaltig den Übergang vom Zeichen- zum Kunstunterricht einleiteten und zugleich zur Neubestimmung eines Kunstunterrichts führte. Parallel zu den reformpädagogischen Ideen prägten auch nationalistisch-konservative Überzeugungen den damaligen Diskurs in der Frage danach, welche Bedeutung und Zielrichtung der Kunstunterricht im gesamtgesellschaftlichen Kontext erhalten soll.
Diese skizzierten Aspekte in der Geschichte der Kunstpädagogik werden im Seminar lebendig und methodisch abwechslungsreich beleuchtet, historische Zeichenübungen erprobt und unterschiedliche kunstdidaktische Positionen diskutiert. Den Ausgangspunkt nimmt zunächst der Übergang vom Zeichen- zum Kunstunterricht. Danach richtet sich der Blick im Seminar aber auch darauf, welche Weiterentwicklung die Kunsterzieherbewegung, die reformpädagogischen Ideen im 20. Jahrhundert entlang zweier Weltkriege und unterschiedlicher politischer Systeme genommen hat.
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