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Das Seminar nimmt Bezug auf grundlegende Veränderungen der japanischen Staatsstruktur, die im Jahr 1868, also vor etwas mehr als 150 Jahren, abrupt stattfanden und zur Anschaffung von einigen damals ungefähr eintausend Jahre alten Herrschaftsträgerämtern führten. Diese Veränderungen stehen unter der Bezeichnung Meiji Restauration (Meiji Ishin 明治維新) und resultierten teils aus endogenen, teils aber auch aus exogenen Faktoren. Letztere sollen am Beispiel der Geschichte der Beziehungen zwischen Europa und Japan in der Landzeitperspektive aufgezeigt werden. Das Seminar soll die Ereignis- mit der Wahrnehmungsgeschichte verbinden, mithin die Interpretation ausgewählter Begebenheiten und Abläufe mit dem Wandel der europäischen Wahrnehmung Japans und der japanischen Wahrnehmung Europas kontextualisieren. Dabei steht die gesamte Zeitspanne im Blick, in deren Verlauf die jeweils eine Seite von der anderen wusste. Dieses Wissen beruhte auf europäischer Seite bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts auf dem Reisebericht Marco Polos, der am Ende des 13. Jahrhunderts nach China, nicht jedoch nach Japan kam. Marco Polo benutzte wohl Informationen, die ihm über Japan während seines Aufenthalts an der chinesischen Küste vermittelt wurden. Trotz dieser indirekten Berichtslage prägte Marco Polos Bericht das europäische Japanbild bis in das 18. Jahrhundert, das sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts grundlegend änderte. Umgekehrt gründete die japanische Europawahrnehmung zunächst in den Erfahrungen von Regierungsstellen mit den dort ankommenden nd ihren Geschäften nachgehenden Europäern, im 16. Jahrhundert hauptsächlich portugiesische Kaufleute und Missionare, im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert hauptsächlich Angehörige der niederländischen Ostindischen Kompanie. Auch diese Wahrnehmungen änderten sich grundlegend im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts. Das Seminar soll untersuchen, wie weit dieser Wandel der Wahrnehmung gekoppelt war an Begebenheiten und Abläufe der Ereignisgeschichte. Als Quellen dienen in erster Linie Texte, jedoch auch Bilder. Voraussetzung für den Erwerb eines qualifizierten Scheins ist die Übernahme eines Referats oder einer Hausarbeit.
Die Frage mag berechtigt erscheinen, warum die Interaktion zwischen zwei Teilen der Welt auf der einen Seite einen Kontinent, auf der anderen eine Staat umfasst. Dafür gibt es drei Gründe, zwei wahrnehmungsgeschichtliche und einen forschungspraktischen. Der grundlegende wahrnehmungsgeschichtliche Grund besteht in der Perspektive, aus der das kontinentale Gegenstück Asien Begriff und Bezeichnung erhalten hat. Der kontinentale Begriff Asien entstammt europäischer Perspektive und wird bis heute in Asien selbst als Fremdbezeichnung gebraucht, ist mithin von Kontexten des europäischen Orientalismus nicht zu trennen und zieht in Asien selbst nur schwache, und dann in der Regel abwehrende Elemente einer kollektiven Identität nach sich. Der zweite wahrnehmungsgeschichtliche Grund resultiert aus dem Umstand, dass kollektive Identitäten, die an Kontinente gebunden sind, in der Regel durch Personen erfahren werden, die sich außerhalb „ihres“ Kontinents bewegen, dass mithin Europäer das Bewusstsein, Europäer zu sein, häufig erst erfahren, wenn sie sich in Asien oder anderen Kontinenten bewegen. Diese Erfahrungen sind sehr alt und sehr früh überliefert; sie bilden Teil der folgenden Darstellung. Da der europäische Begriff Asien außerhalb Asiens weithin gebräuchlich ist und als identitätsbildend aufgefasst wird, gilt dieser Grundsatz umgekehrt auch für Personen, die, aus Japan kommend, sich in Europa oder anderen Teilen der Welt bewegen; auch diese Erfahrungen werden im folgenden thematisiert. Der forschungspraktische Grund ergibt sich aus dem Umstand, dass die Fülle der Interaktionen zwischen Europa und Asien in ihrer Gesamtheit kaum wissenschaftlich erfassbar und folglich die Begrenzung des Themas geboten ist. |