Literatur |
Im Seminar lesen wir zunächst zwei einführende Kapitel aus Rancières Die Aufteilung des Sinnlichen (Berlin 2006), und zwar "Von der Aufteilung des Sinnlichen und den daraus folgenden Beziehungen zwischen Politik und Ästhetik" (25-34) und "Von den Regimen der Künste und der mäßigen Relevanz des Begriffs der Moderne" (35-49).
Der Schwerpunkt der Lektüre liegt dann auf Rancières neuerer Monografie "Aisthesis. Vierzehn Szenen" (Wien 2011). Hier geht Rancière auf Schlüsselszenen der künstlerischen Moderne in Skulptur, Malerei, Fotografie, Film, Architektur und Performancekunst ein, die wiederum im Lichte ebenso klassischer Theoretisierungen (von Winckelmann über Hegel bis Benjamin) interpretiert werden. Neben der Lektüre dieser "Szenen" sollen im Seminar auch die Kunstwerke, auf die sich Rancière bezieht, selbt gewürdigt und zum Sprechen gebracht werden. |
Lerninhalte |
Im Gefolge Immanuel Kants ging die Philosophische Ästhetik über lange Zeit von einer Autonomie der Kunst aus: Ästhetische Geltungsansprüche unterscheiden sich grundsätzliche von moralisch-praktischen und epistemischen Geltungsansprüchen, Kunstwerke zeichnen sich durch eine „Zeckmäßigkeit ohne Zweck“ aus und erfüllen darüber hinaus keinerlei gesellschaftliche Funktion. Im 20. Jahrhundert kritisieren die historischen Avantgardebewegungen (Futurismus, Dada, Surrealismus) die von der Autonomieästhetik gezogenen Grenzen zwischen Kunst, Politik und Leben, indem sie einerseits den Alltag ins Museum holen (etwa in Form von Marcel Duchamps Readymades) und andererseits den außermusealen Raum als Bühne künstlerischer Aktionen und Interventionen erkunden. In diesem Zusammenhang setzen sich Autoren wie Bertold Brecht und Walter Benjamin für ein Konzept engagierter Kunst ein, die nicht länger am Autonomieanspruch bürgerlicher Kunst festhält, sondern sich dezidiert in den Dienst einer Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse stellt. Theodor W. Adorno hält demgegenüber in seiner Ästhetischen Theorie emphatisch am Autonomiegedanken fest: Nur eine solche Kunst könne (auch politisch) widerständig sein, die sich gegen jede Indienstnahme immunisiere und als „gesellschaftliche Antithesis der Gesellschaft“ oder als Statthalter eines „Nichtidentischen“ fungiere.
Während die Debatte zwischen Benjamin und Adorno die Diskussionen in der philosophischen Ästhetik bis ins späte 20. Jahrhundert hinein geprägt hat, erhielt die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Politik im zurückliegenden Jahrzehnt durch die Arbeiten des französischen Philosophen Jacques Rancière neue Impulse. Rancière hebt dabei insbesondere das Machtpotenzial der Kunst hervor: Für ihn sind Kunst und Politik keine feststehenden und voneinander getrennten Wirklichkeiten, sondern zwei Weisen der „Aufteilung des Sinnlichen“. Rancière zeigt zunächst, wie eine „polizeiliche“ Politik in modernen Gesellschaften immer auch „Regime der Sichtbarkeit“ erzeugt und nutzt. Diese Regime weisen den Individuen einen sozialen Ort an, sprechen ihnen Eigenschaften und Fähigkeiten zu oder ab und produzieren damit immer auch Anteilslose, die insofern nicht zählen, als sie nicht wahrgenommen werden, nicht in Erscheinung treten können. Interventionen der Kunst sind für ihn insofern genuin politisch, als sie diese sozialen Ordnungen der Sichtbarkeit selbst sichtbar machen und damit einem kritischen Blick aussetzen. Damit eröffnet Rancière eine Perspektive, das Verhältnis von Kunst und Politik in einer Weise neu zu denken, die den von der Debatte zwischen Benjamin und Adorno vorgegebenen Referenzrahmen verlässt.
|