Literatur |
Vorgeschlagene begeleitende Lektüren:
- Aristoteles, Der Staat der Athener, übers. u. hg. v. Martin Dreher, Stuttgart 2009, 33-56 [besonders: Solon (36-44) sowie Kleisthenes und die Besetzung der Akropolis (52-56)]. - Aristoteles, Eudemische Ethik, hg. von Franz Dirlmeyer, Berlin 1962, Buch VII (Über die Freundschaft), 62-95. dazu: Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt a.M. 2002, 136-139, 267-269. - Isabell Lorey, Präsentische Demokratie (2014), https://transversal.at/blog/praesentische-demokratie - Richard Overton, An Arrow against all Tyrants, in: Andrew Sharp (ed.), The English Levellers, Cambridge 1998, 54-72. - Jean-Jacques-Rousseau, Gesellschaftsvertrag, übers. u. hg. v. Hans Brockard, Stuttgart 1977, Buch IV, Kapitel 8, Von der bürgerlichen Religion, 140-153 dazu: Simon Critchley, The Faith oft he Faithless, London/New York 2012, 21-25, 35-46, 67-78. - A. Hamilton/J. Madison/J.Jay, Die Federalist Papers, hg. v. Barbara Zehnpfennig, München 2007, 93-100; - Anti-Federalist Papers: John DeWitt 1 (https://www.constitution.org/afp/dewitt01.htm) & John DeWitt 2 (https://www.constitution.org/afp/dewitt02.htm), Centinel 1 (https://www.constitution.org/afp/centin01.htm) dazu: Dirk Jörke, „Anti-Federalists“, in: Radikale Demokratietheorie: Ein Handbuch, hg. v. Dagmar Comtesse, Oliver Flügel-Martinsen, Franziska Martinsen und Martin Nonhoff, Berlin 2019, 59-67. - Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, übers. v. Hans Zbinden, München 1976, 69-77, 197-198, 353-357. - John Dewey, „Die Suche nach der großen Gemeinschaft“, in: ders., Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, Bodenheim 1996, 125-155. - Albert Ogien/Sandra Laugier, Das Prinzip Demokratie, Konstanz 2017, 9-40. - Michael Walzer, „Leidenschaft und Politik“, in: ders., Vernunft, Politik und Leidenschaft, Frankfurt a.M. 1999, 66-94. - Judith Butler, „Körperallianzen und die Politik der Straße“, in: dies., Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin 2016, 91-132.
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Bemerkung |
Drei Sitzungen (30.11, 14:15 - 15:45, 11.01. & 01.02, jeweils 15:00 bis 15:45) zum gemeinsamen Diskutieren und Stellen von Fragen finden synchron in BigBlueButton (Zugang über das Learnweb) statt.
Studienleistung (für alle Studiengänge): Vorlesungstagebuch
Auf der letzten Folie jeder einzelnen Sitzung wird eine schriftliche Frage gestellt, die auf ca. einer DIN A4-Seite in einem zusammenhängenden Text zu beantworten ist. Die Beantwortungen dieser Fragen werden nach dem Ende der Vorlesungszeit in einer pdf-Datei zusammengeführt und über das Learnweb eingereicht. Die Abgabefrist endet am 31.02.2022.
Prüfungsleistungen:
a) Studiengänge der Fachbereiche 1, 3 und 4: Take-Home-Klausur, die am 08.02.2022 ausgegeben wird und innerhalb einer Woche (also bis zum 15.02.2022) zu beantworten ist.
b) Studiengänge des Fachbereichs 2: Hausarbeit (Abgabe bis zum 31.03.2022) oder mündliche Prüfung in der letzten Woche der Vorlesungszeit. Besprechung der Themen individuell per mail. Die Veranstaltung kann durch die Studienleistung als Teilmodul in verschiedenen Studienvarianten angerechnet werden. |
Lerninhalte |
In der Vorlesung fragen wir danach, wie Demokratie alltäglich gelebt werden kann. Es geht also weniger um die (in der Politikwissenschaft behandelte) Frage, welche Verfahren und Institutionen eine Regierung zu einer demokratischen Regierung machen. Auch die Frage nach möglichen normativen Quellen der Demokratie (universale Vernunft- und Rechtsprinzipien steht nicht im Mittelpunkt. Wir interessieren uns demgegenüber stärker dafür, wie zu Demokratie motiviert und erzogen werden kann, was uns zu einer weiteren Demokratisierung unserer Gesellschaft motivieren könnte, unter welchen Bedingungen sich demokratische Haltungen ausbilden können.
Die Vorlesung geht von der Diagnose aus, dass sich die Demokratisierungsdefizite unserer heutigen westlichen Gesellschaften nicht ausschließlich auf dem Weg einer Suche nach rationalen Rechtfertigungen der Demokratie beheben lassen, sondern nur durch die Etablierung von demokratischen Lebensformen. In Bezug auf Lebensformen hat sich die praktische Philosophie allerdings spätestens seit Kant ein Denkverbot auferlegt. Dieses Denkverbot wurde mit liberalistischen Argumenten begründet. Lebensformen, so das liberalistische Credo, seien gerade in einer demokratischen Gesellschaft frei wählbar; bestimmte Lebensformen normativ auszuzeichnen, schwebe in der Gefahr des Totalitarismus. Das Politische Denken der Moderne konzentriert sich insofern auch nur auf zwei der drei Ideale der französischen Revolution, auf die liberté und égalité, nicht dagegen auf die fraternité. Die Enthaltsamkeit gegenüber der fraternité (Solidarität, Geschwisterlichkeit) und den konkreten Formen gemeinsamen Lebens führt einerseits dazu, dass heute der Markt über die Lebensformen entscheidet, dass in unseren westlichen Gesellschaften eine besitzindividualistische und konsumistische Lebensform als universell und scheinbar alternativlos erscheint (mit fatalen sozialen und ökologischen Folgen), andererseits dazu, dass rechte Populismen ein stets latentes Bedürfnis nach Vergemeinschaftung mit ideologisierten Sinnangeboten befriedigen können.
Demokratie muss nicht nur rational begründet und staatlich institutionalisiert werden, sondern in erster Linie gelebt. Sie verkörpert zuvörderst eine Sehnsucht: nach einem angstfreien, vielleicht sogar freudvollen (wenn auch niemals vollständig versöhnten) Miteinander Verschiedener, nach einer Gemeinschaft Freier und Gleicher, nach einer Zugehörigkeit, die nicht weiter von exkludierenden Voraussetzungen abhängig gemacht würde, nach einer Gesellschaft, die von ihren Bewohnern insofern als ihre Gesellschaft begriffen werden könnte, als sie in ihr den freien Ausdruck ihrer eigenen kollektiven Praxis sehen, nach der Offenheit von Debatten, die von keiner vermeintlich objektiven Position aus kontrolliert werden können, in denen alle alles zu sagen vermögen.
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