Bemerkung |
Studienleistung: wird zu Beginn bekannt gegeben.
Modulabschluss nur in begründeten Ausnahmefällen möglich. Ansprechpartnerin: Dominika Cohn
Kai van Eikels ist Philosoph sowie Theater- und Literaturwissenschaftler. Er hält Gastprofessuren an der JLU Gießen, der FU Berlin und der Universität Hildesheim. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit war er an künstlerischen Projekten und Kooperationen beteiligt u.a. mit der Geheimagentur, den Chicks on Speed, Xavier Le Roy und Koki Tanaka. |
Lerninhalte |
Moderne Uhrzeit ist verbunden mit dem Anspruch, eine neutrale Größe zu sein, die den Menschen zur Organisation ihres Zusammenlebens und -arbeitens zur Verfügung steht. Sie wird aber, im globalen Abgleich, staatlich erzeugt und gehört zu den Medien, durch die Regierungsmacht sich Zugriff auf die Körper verschafft. Die Etablierung einer zentral kontrollierten Chronometrie ist eng verbunden mit der Geschichte des Kapitalismus, und am Ursprung der weltweiten Logistik, die heute zwischen weit entfernten Kontinenten Vorgänge auf Hundertstelsekunden genau abstimmt, stehen die koloniale Ausbeutung und der Handel von Versklavten. So verdrängte die Kolonialherrschaft europäischer Mächte in Afrika, Asien und den Amerikas flexible soziale Temporalitäten durch die abstrakt-konstante einheitliche Uhrzeit. Und auch in Europa wurden die Spannungen zwischen Körperzeitlichkeiten und Uhrzeit immer wieder merkbar und – etwa in der revolutionären Aufforderung, die Uhren zu zerschlagen – zum Angriffspunkt sozialer und politischer Kämpfe. Im Seminar wollen wir uns in diesem Sinne zunächst mit der Geschichte der Uhrzeit beschäftigen und dann untersuchen, wie die Live Arts diese Spannung zwischen der maschinell erzeugten, staatlich verwalteten Uhrzeit, die zentral und top-down Synchronizität erzeugt, und den wechselseitigen Synchronisierungsprozessen zwischen interagierenden Körpern ästhetisch-politisch nutzen können. Performances bringen menschliche und andere Körper in ein Verhältnis zur Technologie, sie legen dabei die politischen und ökonomischen Implikationen des chronometrischen Regimes offen und werfen die Frage auf, was Zeit jenseits (oder diesseits) des Gemessenen sein kann. Ich schlage eine Reihe von Arbeiten vor, die zu analysieren interessant wären, wobei wir die Liste gern zusammen ergänzen oder verändern können. Zwei Klassiker sind Teching Hsiehs „Time Clock Piece“ (1980/81), eine der „One Year Performances“, in der der damals als geduldeter Immigrant prekär in New York lebende Künstler sich dazu verpflichtete, ein Jahr lang zu jeder vollen Stunde eine Stechuhr zu betätigen, die ein Loch in eine Karte stanzte und eine Polaroidkamera ein Foto von ihm aufnehmen ließ; und Allan Kaprows 1973 für die Berliner Ausstellung „Aktionen der Avantgarde“ konzipierte und in einem Lehrfilm dokumentierte „Time Pieces“, in denen zwei Personen miteinander interagieren, indem bspw. die erste Person mithilfe einer Uhr und eines Kassettenrekorders eine Minute lang ihren Puls laut zählt und daraufhin die Aufnahme des Zählens der anderen Person übers Telefon vorspielt. Darüber hinaus kämen in Frage: Michel Laubs „Portraits 360 Sek.“ (2002); Christian Marclays Videoarbeit „The Clock“ (2011); „The Last Hour“ des Performance-Duos Plan B (seit 2011); Gob Squads Performance „Before Your Very Eyes“ (Premiere 2011); die u.a. unter dem Titel „Instances“ 2017 im Auftrag der Donaueschinger Musiktage durchgeführten Claque-Aktionen des Komponisten Bill Dietz; sowie „Salims Salon“ von Hannes Seidl (UA 2017), ein experimentelles Format, das Musiker*innen aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichem kulturellen Background Raum für freie gemeinsame Improvisationen bietet und sie zu einer Auseinandersetzung mit der Uhrzeit auffordert. Das Seminar findet im Block zum Ende des Semesters statt und erfordert vorbereitende Lektüre. |