Der Philosoph Juan Luis Vives (1492–1540) versuchte, das Wesen und die Würde des Menschen durch eine kleine Erzählung, die „fabula de homine“, zu erkunden. Darin wird berichtet, wie die Götter Geburtstag feiern. Zu ihrer Unterhaltung wird die Welt als riesiges Theater erschaffen: Alles, was kreucht und fleucht, spielt seine Rolle, der beste Schauspieler aber ist der Mensch. Um ihn zu belohnen, laden die Götter ihn zum Festmahl ein: als ihren „Bruder“!
Das Hauptmotiv des Textes ist die „persona“, die Theatermaske, mit welcher der Mensch schauspielt. Bei Vives ist der Mensch dadurch Mensch, dass er alles, was existiert, perfekt imitiert, also zahllose Rollen spielt. Die persona ist Kennzeichen seines Wesens: Hinter der Maske gibt es keine Wahrheit, die Maske ist Wahrheit – jedoch als ein Moment im Spiel der theatralen Illusion. Wie versteht Vives Sein, Schein und Imitation genau? Begreift er das Schauspielen als eine Wissensform?
Das Seminar möchte die Erzählung auf ihre philosophischen Gehalte hin prüfen. Dazu werden wir Vives‘ Begriffe bzw. Motive diskutieren und in ihre geistesgeschichtlichen Kontexte einbetten insbesondere in die Debatten um die Würde des Menschen in der Renaissance.
Vives‘ Text ist Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins des modernen Menschen, der sich von alten Dogmen befreit und gleichzeitig seine Überlegenheit über die Natur postuliert. Die Dialektik von Emanzipations- und Überlegenheitsdiskursen soll an Vives‘ Text erfahrbar werden.
Das Seminar richtet sich gleichermaßen an Studierende der Philosophie und der Kulturwissenschaften.
Der Primärtext (in deutscher Übersetzung) sowie Sekundärliteratur werden über das Learnweb zur Verfügung gestellt.
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