Das Seminar richtet sich an fortgeschrittene MA-Studierende sowie an Doktorand*innen. Wir disktutieren im Seminar neuere Forschungsliteratur, vor allem aber eigene Forschungsprojekte im Kontext der zeitgenössischen Sozialphilosophie.
Das Seminar wird als Blockveranstaltung in Präsenz stattfinden. Entgegen der Angabe im LSF findet das Seminar vom 25. bis zum 27. März in der AZP-Bibliothek statt (die April-Angabe im LSF kommt dadurch zustande, dass das Seminar im System nur dann als Veranstaltung für das Sommersemester verbucht werden kann, wenn es nach dem ersten April terminiert ist...).
Die genauen Zeiten lauten:
25.03. 13:00 bis 19:00 (mit Pausen)
26.03. 09:30 bis 19:00 (mit Pausen)
27.03. 09:30 bis 13:00 (mit Pausen)
Die Anmeldung zum Seminar erfolgt nicht nur über das LSF, sondern auch persönlich per mail an hetzela@uni-hildesheim.de.
Das Thema aus der neueren Forschungsliteratur, dem wir uns in diesem Semester widmen wollen, bezieht sich auf Ansätze einer Ethik der Kohabitation. Im Anschluss an Hannah Arendt formuliert Judith Butler neuerdings die Forderung, dass wir den "ungewählten Charakter des irdischen Zusammenlebens" (Butler 2016: 148) nicht nur akzeptieren müssen, dass wir die Andersheit der Anderen also nicht nur hinnehmend anerkennen müssen, sondern dass wir "Institutionen und Strategien" entwickeln sollten, "die die Ungewähltheit des offenen und pluralen Zusammenlebens aktiv erhalten und bekräftigen" (Butler 2016: 150). Das "Ko-" der "Kohabitation" wird damit zur ethischen Aufgabe, zur Aufgabe, gemeinsam lebensdienlich zu leben. Butler bleibt allerdings bei dieser Forderung stehen und konkretisiert sie nicht.
Einen wichtigen Schritt hin auf eine Konkretisierung leistet Donatella di Cesare, die ebenfalls von der von Arendt diagnostizierten „Ungeheuerlichkeit“ ausgeht, die in dem Anspruch besteht „festlegen zu können, mit wem man zusammenleben will“ (296). Die Cesare entwickelt dazu ein Konzept der Kohabitation, das sich vor allem gegen eine auf dem Primat der Nationalstaatlichkeit und des Staatsbürgerstatus Auffassung des Politischen richtet. Die von ihr vorgeschlagene „Politik des Zusammenwohnens“ (299) geht von einem Modell aus, in dem die Migration nicht länger die Abweichung und die Ausnahme, sondern die Regel ist. Sie kontrastiert dabei das athenische Modell der Autochtonie, der Erdgeborenheit, die mit dem Anspruch auf ein Privileg auf das als kollektiver Besitz einer durch diesen Besitz definierten Gemeinschaft verstanden wird, mit dem alttestamentarischen Modell von Jerusalem als einer Stadt „ansässiger Fremder“. Sie verweist darauf, das im Hebräischen das „Wohnen“ etymologisch mit der Figur des „Fremden“ (ger) verbunden ist, dass wir im Horizont der biblischen Stadt nur als Fremde wohnen können: „Wohnen heißt, fremd zu bleiben“ (219). Di Cesare schließt sich dabei nicht nur an Arendt, sondern vor allem auch an Levinas an, an seinen Text zu den Asylstädten.
Als gemeinsame Lektüre für den Literatur-Teil schlage ich insofern vor:
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 2018, darin: "Epilog", 372-404.
Judith Butler, Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin 2016, darin: "Gefährdetes Leben und die Ethik der Kohabitation", 133-162.
Emmanuel Levinas, Jenseits des Buchstabens. Talmud-Lesungen Bd. 1, Frankfurt a.M. 1982, darin: "Asylstädte", 51-78.
Donatella die Cesare, Philosophie der Migration, Berlin 2022, darin: "Ansässige Fremde", 183-234.
Donatella die Cesare, Philosophie der Migration, Berlin 2022, darin: "Zusammenwohnen im neuen Jahrtausend", 235-304.
Sabine Hark, Gemeinschaft der Ungewählten, Berlin 2021.
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