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Das Substantiv Praxis bezeichnet in der klassischen Antike für ein Kontinuum vielfältiger Tätigkeitsformen. Es lässt sich in einer ersten Annäherung mit Tat, Handlung oder Geschäft übersetzen und betont dabei sowohl den selbstzweckhaften Vollzug bzw. die Performanz als auch das Ergebnis der Tätigkeit, das also, woraufhin sich Praxis in ihrem Vollzug überschreitet. Der Wortstamm prag-, der auf pera (die Grenze, das Jenseits) zurückgeht, hat dabei immer auch einen resultativ-terminativen Aspekt, er bezieht sich auf den Vollzug einer Tätigkeit wie auf das, was aus ihm resultiert.
In der Philosophie des Aristoteles wird Praxis zu einem Schlüsselbegriff. Noch bevor er Praxis im engeren Sinne von Theoria und anderen Tätigkeitsformen wie Poiesis (Herstellen) und Ponos (Arbeiten) unterscheidet, verwendet er einen weiteren Praxis-Begriff, der als Synonym jeder Art von Veränderung und Wirksamkeit angesehen werden kann. Eine Praxis kommt dann dem Gott und den Göttern, dem Kosmos, den Sternen, Pflanzen und Tieren sowie schließlich den Menschen zu. Praxis erweist sich von hier aus als umfassendes Wirksamkeits- und Veränderungsgefüge, das nicht auf intentionale Handlungen individueller Subjekte im engeren Sinne beschränkt bleibt. Die spezifisch menschliche Praxis ist nur eine Form der Praxis unter anderen.
Im Seminar lesen wir gemeinsam Schlüsseltexte des Aristoteles zum Begriff der Praxis, insbesondere Passagen aus der Rhetorik, der Nikomachischen Ethik, der Politik, der Poetik und der Metaphysik.
Seminarplan:
22.10.19 Einführung: Praxis und Handlung
29.10.19 Günter Bien, Artikel „Praxis“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.7, 1277-1286 / Matthias Perkams, „Die Praxis aus wissenschaftlicher und methodischer Perspektive in Antike und Mittelalter“, in: Thomas Bedorf/Selin Gerlek (Hg.), Philosophien der Praxis, Tübingen 2019, 7-22.
05.11.19 Aristoteles, Nikomachische Ethik [Poiesis und Praxis], übers. v. Gernot Krapinger, Stuttgart 2017, Buch VI, Kapitel 2, 4 & 5 (1138b35-1139b14; 1140a1-1140b30).
12.11.19 Aristoteles, Nikomachische Ethik [Praxis und Teleologie], übers. v. Gernot Krapinger, Stuttgart 2017, Buch I (1094a1-1103a10).
19.11.19 Aristoteles, Politik [Praxis als Miteinander Verschiedener], hg. v. Ursula Wolf, Hamburg 1994, Buch I, Kapitel 1-2, Buch III, Kapitel 1-4.
26.11.19 Aristoteles, Politik [Praxis und Musik], Buch VIII , Kapitel 5, 6 u. 7.
03.12.19 Aristoteles, Poetik [Praxis als nachzuahmende Handlung], Griechisch/Deutsch, hg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1986, 4-33; Elizabeth Belfiore, „Aristotle's concept of Praxis in the Poetics“, in: Classical Journal 79 (1983/84): 110-124.
10.12.19 Aristoteles, Rhetorik [Logos als Praxis], Griechisch / Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger, Stuttgart 2018, Buch I, Kapitel 1-3 (1354a1-1359aEnde).
17.12.19 Aristoteles, Metaphysik, Griechisch-Deutsch, hg. v. Horst Seidl, Buch IX, Kapitel 1-6 (mit Schwerpunkt auf Kapitel 6).
07.01.20 Aristoteles, Metaphysik, Griechisch-Deutsch, hg. v. Horst Seidl, Buch IX, Kapitel 7-10.
14.01.20 Enrico Berti, „Der Begriff der Wirklichkeit in der Metaphysik des Aristoteles (Θ6-9 u.a.)“, in: Christof Rapp (Hg.): Aristoteles. Metaphysik. Die Substanzbücher Z, H, Θ, Berlin 1996, 289-311
21.01.20 Charles T. Hagen, “The Energeia-Kinesis Distinction and Aristotle's Conception of Praxis,” in: Journal of the History of Philosophy 22(1984), 263-280.
28.01.20 Friederike Rese, „Praxis und Poiesis in zeitlicher Perspektive“, in: W. Mesch (Hg): Glück – Tugend – Zeit. Aristoteles über die Zeitstruktur des guten Lebens, Stuttgart 2013, 185-200.
04.02.20 Abschlussdiskussion
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