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In Xavier de Maistres Voyage autour de ma chambre (1794) wird die Wohnung zum Schauplatz einer Entdeckungsreise. Die Reise entlang der eigenen vier Wände dient der Erkundung des Habitus sowie der Überprüfung räumlicher Ordnungen. Es ist eine „Welt ohne Löcher“ (Stiegler), in der der Zimmerreisende nicht nur Philosoph, Historiker und Naturforscher in einer Person ist, sondern gleichsam lokaler Monarch und Herrscher über ein Universum der Dinge.
In Léon Gautiers (1832-1897) Reisen werden sodann auch Körper und Kathedrale als Räume definiert. Dies passt zum 19. Jahrhundert insgesamt, waren doch nicht nur Zimmerreisen en vogue, sondern ebenfalls Versuche, die Physis des Menschen in neuer Gestalt erscheinen zu lassen. Bereist wurden aber auch die Hosentaschen, Zelte, Schubladen, Bibliotheken und andere Dinge. Die Dinge, mit denen man die Zimmer dekoriert und ausstattet, werden zusehends zu Objekten der Begierde. Man ist von den Dingen, die einen umgeben, geradezu entzückt. Und als dann im 19. Jahrhundert die keramischen Künste wiederentdeckt wurden, bereisten Sammler die Trödelmärkte und Antiquitätenläden Europas auf der Suche nach Bric-à-brac (Gebrauchtwaren). Ein besonderes Interesse galt fortan der Meissner Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts, die sich nun einer generationenübergreifenden Leidenschaft sicher sein konnte. Im Allgemeinen waren die Dinge nicht mehr bloßer Besitz, sondern verkörperten Gedächtnis und Glück.
Die Innerlichkeit des 19. Jahrhunderts ist ablesbar an der Dingwelt, mit der man sich einrichtete. Und das Leben dieser Zeit fand vornehmlich im Zimmer statt. Als „wohnsüchtig“ bezeichnete schon Walter Benjamin seine unmittelbaren Vorfahren, die in Lehnstuhlreisen den Orbit auskundschafteten. Die Wohnung wird so zum „Futteral des Menschen“. Aber auch die Stadt ist von nun an bewohnter Raum, Landschaft und Stube zugleich. Und der neue Menschentyp des Flaneurs begibt sich auf Forschungsreisen durch die Straßen.
Das Seminar nimmt die Dingwelt der eigenen Wohnstube erneut zum Ausgangspunkt. In einer Übung wird es darum gehen, persönliche Gegenstände und ihre Geschichte vorzustellen: Puppen, Platten, Poster, Bücher, Bilder, Briefmarken: Welches Ding liegt mir besonders am Herzen? Woher stammt es? Welche Geschichte erzählt es? Wie lässt es sich in eine Geschichte der Dinge einbetten? Welche Entwicklung hat der Gegenstand als solcher genommen?
Wichtig: Alle Teilnehmer sind bereits im Vorfeld dazu aufgefordert, nach einem persönlichen Gegenstand Ausschau zu halten und diesen ins Seminar mitzubringen. Dinge, die nicht transportierbar sind, können über bildliche Darstellungen präsentiert werden.
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