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Der Anspruch auf „sexuelle Revolution“, der mit 1968 unlöslich verbunden ist, brach sicher mit vielen Konventionen und Tabus – aber nicht oder nicht genug mit der Konvention, sexuelle Freiheit aus der Perspektive der Männer zu verstehen. Bis heute stellt die Bildsprache des Mainstreams Begehren als männliches Begehren dar, am plakativsten in der heterosexuellen Pornoindustrie. Das Narrativ ist gleichzeitig schlicht und phantasmatisch: Der Mann erregt sich an der Frau, die Frau erregt sich daran, dass der Mann sich an ihr erregt (besser gesagt: Sie tut so, damit der Mann sich an dem Phantasma befriedigt, sie befriedigt zu haben). Diese Leerstelle von 1968 verweist auf die Frauenbewegung der 70er Jahre, die sowohl versucht hat, diese Leerstelle zu erklären wie sie zu füllen, indem weibliches Begehren selbst zum Thema gemacht wurde. Philosophinnen wie Irigaray haben gezeigt, dass diese Leerstelle sich nicht bloß auf einen „kleinen“ Ausschnitt von Alltagspraktiken (nämlich das private Liebesleben von Frauen) auswirkt, sondern im Gegenteil auf ganz grundsätzliche Weise das Denken und Fühlen abendländischer Metaphysik imprägniert: Vermeintlich neutrale Philosophie ist geschlechtlich aufgeladen, Geschlechtlichkeit ihrerseits von dieser Logik – Derrida spricht vom Phallogozentrismus – durchdrungen. Innerhalb dieser binären Logik von Natur/Kultur, Körper/Geist, Subjekt/Objekt stellt Weiblichkeit stets das Andere dar, weibliche Sexualität Freuds „dunklen Kontinent“. Wie lässt sich diese Logik durchbrechen? Welche Theorien, Bilder, Fantasien und Erfahrungen gibt es zum aktiven weiblichen Begehren – eines, das nicht nur das passive Pendant des männlichen repräsentiert? Welche Bilder von Weiblichkeit (und Männlichkeit) werden destruiert und konstruiert, welche Körpererfahrungen thematisiert, welche Darstellungsformen gewählt? Was bedeutet das philosophisch und wie drückt sich dies in Kunst, Literatur, Theater, Film und Popkultur aus? Im Projekt wollen wir uns mit diesen Versuchen der „Selbstbewusstwerdung weiblicher Sexualität“ beschäftigen. Dabei wird es u.a. darum gehen, über die heterosexuelle Matrix hinaus zu denken und queere, trans- und intersexuelle Perspektiven zu berücksichtigen, welche die binäre Begehrensstruktur auf lehrreiche Weise durchkreuzen. Auch die mittlerweile klassische Debatte zwischen Differenz- (Irigaray) und Gleichheitsansätzen (De Beauvoir, Butler) in der feministischen Philosophie wird für unsere Diskussion sicher fruchtbar sein. An diese Debatte knüpft die Frage nach der politischen Relevanz des Themas an, die zur Stellungnahme nötigt: Hat sich das Anliegen einer „Selbstbewusstwerdung weiblicher Sexualität“ für uns heute erledigt – weil es erfüllt ist oder weil es falsch angelegt ist? Oder ist das Anliegen so aktuell wie damals – nur die Ausdrucksformen müssen andere werden? Ist Selbstbewusstwerdung der richtige Schritt in Richtung politischer Ermächtigung oder führt sie möglicherweise zu Entpolitisierung und zu einem Rückzug ins Private (dem traditionell weiblichen Ort, in dem Frauen über ihre Gefühle sprechen, derweil die Männer sich die Welt aneignen)? Am Ende des Projekts steht ein Beitrag zum Festival des Projektsemesters, in dem unser Ringen um die Frage: Aktuell oder Schnee von gestern? seinen Ausdruck finden wird. In vielen Initiativen der Frauenbewegung nach 1968 wurde die Forderung laut, Frauen müssten bestimmte Themen in reinen Frauengruppen aushandeln. Wir möchten daran anschließen und deshalb sind in diesem Projekt nur Frauen zugelassen. |