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"Was macht den anhaltenden Reiz des Kult-Experimentalautors Hubert Fichte aus?" fragte im März diesen Jahres das internationale Kunstmagazin Frieze. Mit seiner (queeren?) "Ethnopoesie" erforschte der Hamburger Autor Hubert Fichte nicht nur synkretistische Religionen Südamerikas sondern auch die lokalen Subkulturen im Hamburg der 1960er und 1970er Jahre, wie auch seine eigene (sexuelle) Biografie. Fichtes Versuche, das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden zu beschreiben, sind niemals objektive Verfahren der Beschreibung sondern betonen die Subjektivität jedweder Erkenntnis. Diese Verfahren finden sich auch in dem einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Theatertext (UA Wuppertaler Bühnen 1976). In drei Interviews, über mehrere Jahre hinweg geführt, spricht Fichte mit Hans Eppendorfer, der als Jugendlicher wegen Mordes an einer befreundeten älteren Dame zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde: Themen sind die Erfahrungen nach der Haft, die journalistische Arbeit Eppendorfers wie auch die schwule SM-Szene in Hamburg und in den USA dieser Zeit.
"Ein Text, der Freunde und Feinde fand, die Theaterfassung erschien inzwischen in sechs Sprachen. Namhafte Bühnen im In- und Ausland erwarben die Aufführungsrechte, in Paris, wo Karl Lagerfeld die Kostüme für den 'Ledermann' entwarf und Jacques Damase das Programmheft; in Zürich, wo Burkhard Driest die Titelrolle übernahm; in Kopenhagen, in Toronto, in Brüssel, ein Stück 'das Angst macht'. Aufführungen im Düsseldorfer Schauspielhaus im März 88 oder in der Werkstatt des Berliner Schillertheaters, wo Roswitha Kämper die Regie führte, April 88. In New York interessierte sich Tennessee Williams kurz vor seinem überraschenden Tode für den Text, mit seinem Lover in der Titelrolle, wollte selber Regie führen, hatte alles schon mit Peter Chatel abgesprochen in Key West; Andy Warhol sollte Kostüme und Bühnenbild realisieren, Philip Glass die Musik. Es kam nicht mehr dazu." (Hans Eppendorfer, "Vorwort", 1988)
Eppendorfers und Fichtes Theatertext soll in dieser Übung als Basis einer Arschäologie des Theaters bzw. einer Historiografie des Theaters 'von hinten', wie auch einer praxisorientierten queeren Theatergeschichtsschreibung dienen.
Wie lässt sich diese Episode einer Geschichte der Empfindlichkeiten auf der Bühne darstellen? Wie kann man sich heute diesem Text nähern, der schon zu Zeiten seiner Uraufführung eine Herausforderung für die Bühne war? Wie sieht ein queerer Blick auf schwule Theatergeschichte aus? Wie begegnen wir der ethnopoetischen Methode Fichtes heute, was kann sie uns für die heutige Arbeit auf der Bühne bedeuten?
Ziel der Übung ist, sich sowohl inszenatorisch mit Fichtes und Eppendorfers Text auseinanderzusetzen, wie auch selbst mit dem Format des Interviews, der Collage und Listenformen zu experimentieren, die das Werk von Fichte auszeichnen. |